Persönlichkeitsentwicklung zwischen Wunsch und Realität

Die Digitalisierung erleichtert unser Leben….

Dank Smartphones, Tablets, Laptops und kabellosem Internet sind wir heute viel zeit- und ortsungebundener als früher und trotzdem immer mit allen verbunden. Über Whatsapp fiebert beispielsweise meine 65-Jährige Tante, die in Neuseeland lebt, beim ersten Schultag meiner Kinder mit, weiss über unsere WochenendAktivitäten Bescheid und schickt Fotos von ihren Ausflügen. Nähe also trotz Distanz. Es dauert nur ein paar Minuten, um eine kurze Mitteilung zu schreiben, oder ein Foto zu schicken. Früher schrieb sie mir Briefe, was schon zum Erstellen länger Zeit brauchte. Und bis diese bei mir ankamen, waren diese Infos auch nicht mehr neu. Die digitalisierte Kommunikation unterstützt mich, den Kontakt zeitsparend und aktuell auch am anderen Ende der Welt aufrechtzuerhalten.

Das self-scanning in den Einkaufsläden ist ein weiteres Alltagsbeispiel. Es ist praktisch, wenn ich meine Einkäufe selbst abscannen und direkt in die Einkaufstüten verstauen kann, anstatt sie an der Kasse nochmals alle auf das Förderband zu legen. Auch das lästige Schlange stehen vor den Kassen entfällt damit weitgehend.

Die Liste mit Beispielen, die unser Leben vereinfachen sollten, lässt sich beliebig verlängern. Es liegt in der Natur des Menschen, Dinge immer weiter zu entwickeln und die Mühseligkeiten des Alltags zu minimieren. Dafür können wir auch sehr dankbar sein, denn wohl niemand mehr möchte auf Waschmaschine, Flugzeuge, isolierte Häuser etc. verzichten. Doch, was ist die Kehrseite?

….oder doch nicht immer?

Trotz den immensen Erleichterungen, die der technische Fortschritt in den letzten 100 Jahren gebracht hat, scheinen wir immer weniger Zeit zu haben. Wir hetzen von Termin zu Termin, treiben unsere Kinder zur Eile an oder sind gestresst, wenn ungeplant Besdasuch hereinplatzt. Woher kommt dies? Im Buch von Rolf Dobelli: „Die Kunst des guten Lebens“ habe ich eine, mögliche Antwort gefunden. Er beschreibt darin den Effekt der Antiproduktivität, den Ivan Illich bereits in den siebziger Jahren geprägt hat. Illich errechnete damals die effektiv erzielte Durchschnittsgeschwindigkeit eines Autos in den USA. Er kam zum Schluss, dass wir mit Auto durchschnittlich nur 6 km pro Stunde vorwärtskommen, was ungefähr dem Fussgängertempo entspricht. Wie kam er darauf? Wenn wir mit dem Auto durchschnittlich 50 km/h schnell fahren können, müssen wir davon die Zeit abziehen, die wir arbeiten müssen, um uns das Auto inklusive Versicherungen, Parkplatz, Benzin und ähnliches, leisten zu können. Ebenfalls muss die Zeit berücksichtigt werden, die wir brauchen, um zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen. Das auf den ersten Blick schnellere Verkehrsmittel wird aus dieser Perspektive zu einem Zeitfresser. Im erwähnten Buch von Rolf Dobelli finden sich noch weitere Beispiele, wie sich vermeintliche Vereinfachungen zu Nullnummern entwickeln und sich gar negativ auf die Lebensqualität auswirken können.

Was nun?

Sollten wir vielleicht auf die vielen Annehmlichkeiten wie das Auto oder Smartphone verzichten? Wohl kaum. Die Weiterentwicklung von bestehenden und die Erfindung von neuen Technologien gehört zur Natur des Menschen. Und es bringt uns auch mehrere Vorteile: wie beispielsweise die Möglichkeit, am Sonntag Freunde am Zürichsee besuchen können, was wohl zu Fuss von Bern aus nicht zu schaffen wäre.

Trotzdem finde ich die These der Antiproduktivität eine spannende Überlegung. Nicht im Sinne einer Verteufelung der Technologien und den daraus entstehenden Produkten sondern als Hinweis, neue Geräte oder Hilfsmittel aus einer ganzheitlichen Perspektive zu betrachten, die vollen Kosten dem erwarteten Nutzen gegenüberzustellen und sich dann bewusster dafür oder dagegen zu entscheiden. Darüber hinaus ermöglicht die These auch einen weitergehenden Blick auf die Veränderungen, die in der Arbeitswelt durch die momentane Digitalisierung hervorgerufen werden. Es ist zwar davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren wohl ein Teil der uns bisher vertrauten Arbeitsplätze oder Arbeitsabläufe wegfallen wird, gleichzeitig werden jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit neue Aufgaben entstehen, die erfüllt werden müssen.

Franziska Steiner
Organisationsberaterin

Literatur: Dobelli, Rolf. 2017. Die Kunst des guten Lebens. Piper Verlag GmbH.

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