«Gäng wie gäng» – von Smalltalk-Beziehungen und Widerstand gegen Veränderungen

Kürzlich übernahm ich aufgrund einer Ferienabwesenheit eine grössere Aufgabe in einem Bereich unserer Geschäftsaktivitäten, der nicht zu meinem Kerngeschäft gehört. Meine Mitarbeit beschränkt sich dort auf sporadisches Ausführen. Nun sah ich mich plötzlich ganz neuen Aufgaben gegenübergestellt: Produkt verkaufen, Auskunft geben, detaillierte Offerte erstellen, Anforderungsprofile generieren, Abläufe konzipieren und immer wieder Fragen zu Themen, die mir nicht geläufig sind, beantworten. An der Durchführung teilzunehmen, war noch das Einfachste, wobei ich mich nach Corona auch dort völlig eingerostet fühlte. Ich empfand den Aufwand als sehr gross, war ständig unsicher, ob ich an alles gedacht hatte, und machte ständig Kontrollchecks. Als meine Kollegin aus den Ferien zurückkam und die ganze Sache beendet war, war ich glücklich und richtig erleichtert. Weshalb empfand ich so?

Die Antwort lautet: Die sehr gut organisierten Abläufe in diesem Arbeitsbereich sind nicht in meinem prozeduralen[1] Gedächtnis abgespeichert. Dieses prozedurale Gedächtnis ist ein unbewusstes, grosses und leistungsfähiges Gedächtnissystem, in dem Handlungsfertigkeiten und Denkregeln nach häufigem und intensivem Üben abgespeichert werden. Sind Verhaltensweisen einmal dort abgespeichert, können wir sie automatisch und ohne grosse Kontrollmechanismen abrufen. Ein Beispiel dafür ist das Autofahren. Wir fahren routiniert zur Arbeit, hören dabei Musik, essen vielleicht etwas, telefonieren mit jemandem oder planen unseren Arbeitstag, häufig ohne uns nachher an die Details der Fahrt zu erinnern.
Die Regeln unserer Muttersprache sind auch in diesem Gedächtnis abgelegt. Wir hören sofort, wenn eine Person einen Fehler macht, und korrigieren sie automatisch, häufig ohne die jeweilige Grammatikregel bewusst benennen zu können.

In Alltags- sowie Arbeitsbeziehungen sind automatisierte Abläufe sehr weit verbreitet und nehmen andere Person ganz selten wirklich wahr. Der Standard-Begrüssungssatz «Geht es Dir gut?» illustriert dies. Der Satz erwartet die Standard-Antwort «Ja». Was machen wir, wenn mal jemand mit «Nein» antwortet? Das geplante Vorhaben unterbrechen, uns Zeit nehmen, nachfragen und zuhören? Eher nicht, meistens hören wir das «Nein» gar nicht, wir müssten uns ja vom oberflächlichen Smalltalk mit seinen Automatismen lösen und uns mit der anderen Person befassen. So verpassen wir jedoch häufig Chancen, etwa jene mit andern kollektiv ein besseres Resultat zu erarbeiten, was aber heisst, nicht einfach unser Standardprogram zur Erarbeitung von Inhalten abspulen, sondern die Stärken und Eigenheiten der anderen Personen aktiv und bewusst in den Arbeitsprozess aufnehmen. Oder von anderen lernen, indem wir uns für ihre Arbeitsweise und ihre Überlegungen interessieren.

Unsere Automatismen generieren auch immer wieder Widerstand gegen Veränderungen und Neues. Plötzlich läuft nichts mehr wie gehabt. Wir werden aus unserer Komfortzone herausgerissen und sehen uns gezwungen, unser Gehirn aktiv zu brauchen, um eine Aufgabe zu bewältigen. Dies verursacht Verunsicherung und wenn wir Widerstand leisten, hoffen wir es wieder «gäbig» zu haben. Hier ist es für Führungskräfte ganz wichtig, dass sie eines der Hauptwerkzeuge der Führung einsetzen, nämlich reden und zuhören: Erklären, was der Sinn der Veränderung ist und dies wiederholt. Danach den Mitarbeitenden Verantwortung sowie Kompetenzen übergeben, damit diese mit Engagement an die neue oder veränderte Aufgabe herangehen, ihre Vorschläge abholen, ihre Zweifel wie auch Frustrationen ernst nehmen und sie ermutigen und loben, wenn sie neue Abläufe erfolgreich automatisiert haben.

Claudia Buol

Mitglied der Geschäftsleitung


[1] Jäncke, Lutz. 2016. Hogrefe Verlag Bern. Ist das Gehirn vernünftig?

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