«Wir fahrn, fahrn auf der Autobahn…»

Als der legendäre Song der Band Kraftwerk die Plätze der Schweizer Hitparade Einzug hochkletterte, hat mich der Erfolg der Begrenztheit seiner repetitiven Monotonie erstaunt. Keine Überraschung, einfach auswendig zu lernen, immer gleich. Und soo erfolgreich! Heute erscheint er mir wie eine Vorhersage der alltäglichen Wiederholungen unseres praktischen Alltags, die wir -allzu?- selbstverständlich befolgen. Hier zwei Beispiele aus meinem Coaching Alltag.

Monsieur Dubois ist junge Führungskraft in einem Grossunternehmen und kommt in ein Entwicklungscoaching, das von seinem Chef für alle Führungskräfte organisiert worden ist. Er hatte keine Zeit, sich im Vorfeld etwas zu überlegen und war auch nicht begeistert über diese Entwicklungsmassnahme. Er habe so viel zu tun, renne von einem Termin zum anderen und bereite sich auf die nächste Sitzung meistens auf dem Weg dazu vor. Seine Mitarbeitenden sähen ihn nicht viel und die neue Mitarbeiterin, die nach ihm ein tolles Potenzial habe, müsse sich eigentlich selber einarbeiten. Sein Chef delegiere immer neue Projekte an ihn und er habe schon lange keine Kapazitäten mehr. «La tête dans le guidon» sagte er, was so viel heisst, wie «den Kopf im Lenkrad». Was ihm denn Freude mache an seinem Job? Erstaunt ob der Frage, musste Monsieur Dubois zuerst überlegen. Er führe gerne seine Leute und habe Freude am Weitergeben von Wissen und Kompetenzen. Er würde auch gerne vorbereitet an seine Sitzungen gehen, das gebe ihm ein gutes Gefühl. Ab und zu habe er mit viel Begeisterung eine Weiterbildung gegeben und würde es gerne öfter tun, aber eben sein Kalender sei ständig voll mit Sitzungen und Repräsentativem. Weshalb er sich den so verplanen lasse und seinen Kalender nicht mit seiner eigenen Planung fülle? Wie denn? Es brauchte eine ganze Weile, bevor Monsieur Dubois sich vorstellen konnte, dass z.B. Führung von Mitarbeitenden echte Arbeit war, die Anrecht auf Termine in seinem Kalender hatte, genauso wie die Einführung einer neuen Mitarbeiterin. Als wir uns das nächste Mal sahen, wirkte Monsieur Dubois wesentlich determinierter. Er habe sich die Zeit genommen, mit seinem Team zu sprechen und sei auf leise Frustration gestossen. Für die Zeit nach seinen grad anstehenden Ferien habe er nun tägliche Zeitfenster eingeplant, die für die Anliegen des Teams reserviert waren. Auch vor den Sitzungen habe er sich in seinem Kalender Zeit eingeplant, diese vorzubereiten. In der Abschlusssitzung meinte er zufrieden und belustigt, sein Team sei happy und sein Chef überrascht, wenn er sage, er habe keine Kapazitäten mehr für dieses neue Projekt oder jene repräsentative Verpflichtung.

Nach der Sommerpause habe ich meine Klientin, Frau Sulzer, wieder zu einem Coaching-Termin getroffen. Es ging ihr nicht gut. Sie hustete seit mehreren Monaten ständig und fühlte sich elend. Alle üblichen Mittelchen hatten nicht geholfen und daher war sie am gleichen Morgen schon zum dritten Termin beim Pneumologen verabredet, der den Verdacht hatte, sie leide an einer Art Allergie. Was war seit unserem letzten Treffen geschehen? Nach einigen Fragen meinerseits kam heraus, dass Frau Sulzer samt Haustier zu ihrem Freund gezogen war, damit die Fahrzeit für die gemeinsamen Treffen kürzer würde. Praktisch. In einem Jahr wollten ihr Freund und sie sich eine neue Wohnung auf mittlerer Distanz zwischen den beiden Arbeitsstellen suchen und zusammenleben, wie das Paare eben tun. Und wie fühlte sie sich in der neuen Umgebung mit diesen Zukunftsaussichten? Sie begann allmählich zu erzählen, sprach von den pubertären Kindern des Freundes, die auch alle da waren und so ihre Wachstumsschwierigkeiten hatten, von den Wutanfällen des Freundes den Kindern gegenüber, von den unterschiedlichen Ansichten bezüglich Kochens und Kindererziehung, etc. Nichts Erfreuliches. Als ich davon sprach, wie wohl es ihr in ihrer eigenen Wohnung immer gewesen war, schlich sich langsam Begeisterung in ihre Stimme: Ja! Die Ruhe, die grosse Terrasse, das selbst entscheiden, der eigene Rhythmus und und und. Am Schluss der Sitzung hatte sie seit einer ganzen Weile nicht mehr gehustet und zwei Wochen später erhielt ich ein Mail, sie wohne nun zufrieden und glücklich wieder «daheim».

Selbstwirksamkeit heisst das psychologische Fachwort für diese Freude und Zufriedenheit. Es ist das angenehme Gefühl, etwas selbst gestaltet zu haben und das Resultat zu sehen. Repetitive Handlungen, also Gewohnheiten sind praktisch, reduzieren die Komplexität und geben das Gefühl, wir hätten es im Griff. Mit der Zeit haben sie uns im Griff. Steuere ich oder steuert «es» mich? Menschen sind die einzigen Säugetiere mit der Fähigkeit zu abstraktem analytischem Denken und Entscheidungsverhalten, das von unserer Wirtschaft und unseren Arbeitgebern so sehr geschätzt wird. Das bedeutet, wir können vorausschauend planen und Dinge bearbeiten, die gar nicht konkret vorhanden sind. Zusätzlich heisst es auch, dass wir über das Wie und Ob wir das machen nachdenken und Kursänderungen vornehmen können, falls der Weg nicht dorthin führt, wo wir hinwollen. Wenn wir merken, «es» stimmt so nicht ganz, dann ist es Zeit, den Kopf aus dem Lenkrad zu nehmen, den Autopiloten auszuschalten, hinzuschauen, wohin wir fahren und Kursänderungen vorzunehmen, wenn es nicht die von uns gewünschte Richtung ist. Dies benötigt ein bisschen Zeit, um Abstand zu nehmen und die Autobahn der Gewohnheiten einem kritischen Blick zu unterwerfen. Bin ich auf dem Weg dorthin, wo ich hinwollte? Falls nicht, lohnt es sich auch mal einen ungewohnten Weg zu gehen, überraschend und nicht nur einfach, dafür jedoch befriedigend.

Claudia Buol
Lic.phil. Psychologin
Membre de la direction

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

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