Die Sache mit der Weihnachtsgeschichte

Gestern bin ich auf dem Weg ins Büro meinem alten Kumpel Ruedi Rötheli begegnet. Letztmals haben wir uns anfangs Februar gesehen. Damals war Ruedi aufgrund eines Change-Management Vorhabens in seinem Unternehmen ziemlich aufgebracht. Die erste Konfrontation mit dem Thema Agilität war nicht unbedingt auf seine Begeisterung gestossen. Seither hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Dass ich ihn in dem übervollen Restaurant überhaupt gesehen habe, war eher Zufall. Er sass alleine an einem Vierertisch, vor sich ein Notebook in das er hineinstarrte, als sei er von der ‚Agilomanie‘ auf direktem Weg in die Agonie verfallen. Obwohl ich eigentlich genug zu tun hatte, machte ich kurzerhand kehrt, um nachzusehen, was meinen Kumpel dermassen belastete. „Einer alleine glaubt es nicht!“, war die überraschte Reaktion von Ruedi Rötheli als ich an seinen Tisch trat und mich mit einem Lächeln hinsetzte. „Dich habe ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Was machst du denn hier?“ „Ich habe dich auf dem Weg ins Büro hier gesehen und wollte mich mal erkundigen, wie es dir so geht. Du bist es dir vielleicht nicht bewusst, aber du machst nicht gerade einen glücklichen Eindruck. Da habe ich gedacht, ich schau mal vorbei und frage, ob alles in Ordnung ist. Zudem hatte ich noch keinen Kaffee.“

Ruedi Rötheli wirkte etwas überrascht. „Na ja, so schlimm ist es nicht. Ein klein wenig stehe ich schon unter Druck. Ich habe da so einen Sonderjob gefasst. Gestern ist die Personalchefin höchst persönlich bei mir erschienen. Sie gab mir den Auftrag, für die Weihnachtsfeier des Unternehmens eine Weihnachtsgeschichte oder ein Gedicht oder so was Ähnliches zu schreiben. Das Resultat soll ich dann vor versammelter Belegschaft am Weihnachtsanlass vortragen. Eigentlich wäre das eine Aufgabe für die Kommunikationsabteilung. Dort hat aber niemand Zeit. Der CEO besteht jedoch auf diesem Programmpunkt am Weihnachtsanlass. Dabei hat er klar festgehalten, er erwarte etwas Spezielles, Aktuelles, Innovatives und nicht die üblichen Geschichten von Maria und Josef, die man massenweise im Internet finden kann. Er hielt einen Moment inne und schüttelte leicht den Kopf. „Anscheinend hatten nach dieser Feststellung in der Kommunikationsabteilung alle extrem viel zu tun. Keine Ahnung, wer mir das eingebrockt hat. Ich bin kein Schriftsteller und habe auch noch nie in einer Kommunikationsabteilung gearbeitet.“ Beim letzten Satz hatte die Stimme von Ruedi Rötheli eine leicht emotionale Komponente irgendwo zwischen Verzweiflung und leichter Panik angenommen.

„Hast du schon was geschrieben?“

„Ja, hab ich, aber das ist nicht brauchbar. Wenn ich das am Weihnachtsanlass vortrage, dann kann ich eine neue Stelle suchen, nachdem ich geteert, gefedert und danach gefeuert worden bin. Ich konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. „Dann lies doch einmal vor, was du bis jetzt geschrieben hast.“ Ruedi Rötheli sah mich einen Moment lang an, als wolle er mir widersprechen. Dann begann er zu lesen.

Weihnacht, Weihnacht, hektische Zeit
Bald Ladenschluss und noch nicht bereit,
Noch keine Ahnung, was soll ich schenken,
Zu viel zu tun, um auch noch daran zu denken,
Weihnacht, Weihnacht, hektische Zeit
Hetze und Stress statt Besinnlichkeit


Weihnacht, Weihnacht, besinnliche Zeit
Zeit des Friedens und der Einigkeit.
Nicht Kriege, noch Bomben oder Sicherheitsbedenken
Können von Shopping, Kaufwut und Glühwein ablenken.
Weihnacht, Weihnacht, besinnliche Zeit
Kommerz und Shopping statt Friede weltweit.


Weihnacht, Weihnacht, friedliche Zeit
Hoffentlich nicht wieder Familienstreit
Hoffentlich herrscht Friede, zumindest beim Essen
Zwietracht und Neid für einmal vergessen.
Weihnacht, Weihnacht, friedliche Zeit
Ach wie schön wär doch die Weihnachtszeit


Weihnacht, Weihnacht oh Weihnachtszeit
Vergesst die Zwietracht, den Neid und den Streit
Vergebt wo ihr könnt und öffnet die Herzen
Unterstützt auch jene die Leiden vor Schmerzen
Tut Gutes, seid glücklich, schiebt weg all die Bedenken
Vergesst neben Kommerz nicht ein Lächeln zu schenken
Besinnt euch zurück in eure Kinderzeit
Ach wie schön warst du doch, gesegnete Weihnachtszeit

Nachdem Ruedi Rötheli mit dem Lesen der ersten Zeile begonnen hatte, war es im Restaurant ruhig geworden. Zuerst am Nachbarstisch und dann auch an den umliegenden Tischen hatten die Leute ihre Gespräche eingestellt und lauschten dem Vortrag des ihnen unbekannten Mannes. Als er am Ende angelangt war, hielt die Stille einen Moment an, bevor ein spontaner Applaus durch den Gastraum hallte. „Na siehst du, mein Freund“, meinte ich nachdem der Applaus verklungen war. „Du kannst ja problemlos zu den Menschen durchdringen. Wenn du kurz und bündig bleibst, dich auf das Wesentliche konzentrierst, immer du selber bist und dabei authentisch bleibst, wirst du nie daneben liegen. Es wird dir immer gelingen, Menschen emotional zu erreichen und bei ihnen einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Zudem solltest du nach dieser geglückten Generalprobe am Firmenanlass kaum Probleme haben.“

Ruedi Rötheli wirkte wieder deutlich zuversichtlicher, als noch vor ein paar Minuten, als ich mich zu ihm an den Tisch setzte. „Danke mein Freund. Zum Glück sind wir uns noch begegnet, bevor ich meine Zeilen vor versammelter Belegschaft zum Besten geben muss.“ Kurz danach hatte ich meinen Kaffee ausgetrunken, verabschiedete mich und machte mich auf den Weg ins Büro.

Ach ja, sie wollen sicher noch wissen, ob Ruedi Rötheli mit seinem Vortrag Erfolg hatte? Ich weiss es nicht und es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass er für sich seinen Geist der Weihnacht gefunden hat und für einen kleinen Moment die Sorgen des Alltags vergessen konnte. Fröhliche Weihnacht wünsche ich Ihnen und dass auch Ihnen der Geist der Weihnacht begegnen möge

Daniel Thomet
Organisationsberater

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